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16. November 2020, 08:20 Uhr
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Gegenseitige Achtung ist wichtig

Vergangene Woche sagte die Stadt die offizielle Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag am Sonntag ab. Dennoch wird sich erinnert. Und Kränze werden in kleinem Rahmen niedergelegt.

Das Mahnmal an der Napoleonschanze erinnert an Opfer des Ersten Weltkrieges.

Das Mahnmal an der Napoleonschanze erinnert an Opfer des Ersten Weltkrieges. ©

Norderney/BD – Die Stadt hatte sich „aufgrund der strikten verordnungsrechtlichen Vorgaben des Landes“ dazu entschlossen, keine offizielle Veranstaltung daraus zu machen. Bürgermeister Frank Ulrichs bedauert: „Die traditionelle Gedenkstunde in der Friedhofskapelle mit anschließender Kranzniederlegung wäre nur unter unverhältnismäßig hohen Auflagen möglich gewesen.“ Kränze werden auf dem Ehrenfriedhof für die Opfer des Zweiten Weltkrieges auf dem Friedhof sowie am Ehrenmal an der Napoleonschanze für die des Ersten Weltkrieges dennoch niedergelegt. Nur eben nicht im großen Rahmen. Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945, also vor 75 Jahren.

Ulrichs beschäftigte es sehr, nicht öffentlich gemeinsam mit den Bürgern den Tag zu begehen. Daher entschied er sich, trotzdem eine Gedenkrede zu schreiben, die in Auszügen nachfolgend veröffentlicht wird.

Der Bürgermeister stellt die Frage, ob ein Volkstrauertag überhaupt noch angebracht ist, nach 75 Jahren ohne Krieg in Deutschland. „Ich meine schon!“ Dem Bürgermeister geht es am Volkstrauertag nicht nur um die Toten und Vermissten der beiden Weltkriege: „Krieg, Gewalt, Terror, Verletzung der Menschenrechte, Vorurteile, Fanatismus und Intoleranz sind heute so aktuell wie lange nicht mehr und stellen eine nicht zu unterschätzende globale Bedrohung aller wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften in der Welt dar.“ Für Ulrichs ist der Volkstrauertag „ein Tag des Gedenkens, aber er ist auch ein Tag der kritischen Reflexion, des Auseinandersetzens mit den Gegebenheiten unserer Zeit und unserer Zukunft. Denn wir schauen heute nicht nur zurück, sondern auch voraus auf die Bewahrung des Friedens, unserer Demokratie und der Menschenrechte.“

In vielen Regionen der Welt herrsche Krieg, wohingegen Deutschland in Frieden lebe. „Kriege und Opfer von Gewaltherrschaft sind auch heute noch allgegenwärtig. Das ist die tatsächliche, die traurige Botschaft des Volkstrauertages. Oft sind Berichte aus den Kriegs- und Krisengebieten nur Randthemen, wenig mehr als kurze Notizen in den Abendnachrichten. In diesem Jahr müssen sich diese Konflikte in der öffentlichen Beachtung nochmals anderen, neuen Prioritäten unterordnen. Aber gleichwohl bestehen sie fort, eskalieren und arten aus in neue kriegerische Auseinandersetzungen, mit neuer Gewalt und mit vielen weiteren Opfern.“ Die gegenwärtige Pandemie störe dabei nicht nur deren Wahrnehmung, sondern erhöhe augenscheinlich sogar die Gefahr neuer Kontroversen und Spaltungen. „Zudem kommen Friedensverhandlungen und humanitäre Initiativen durch die Corona-Krise zum Erliegen“, sagt Ulrichs. „Und in Deutschland und Europa? Hier scheinen Kriege zwischen den einzelnen Staaten inzwischen keine Gefahr mehr darzustellen. Aber wir müssen sehr aufmerksam bleiben – wehret den Anfängen, heißt es so schön. Doch befinden wir uns überhaupt noch in den Anfängen? Haben wir selbst in Europa – wie auch in den USA – nicht genügend geistige Brandstifter, deren furchtbaren Worten inzwischen auch abscheuliche Taten folgen?“ Dabei gilt Ulrichs Blick den USA. Den Weltfrieden gefährdendes Gedankengut sei damit nicht gleich aus Gesellschaft und Köpfen verschwunden. „Gewalt, Bedrohungen und öffentliche Hetze Dritten gegenüber scheinen in bestimmten Kreisen mittlerweile wieder salonfähig zu werden.“ Ulrichs erinnert an die Ermordung Walter Lübckes (CDU), der sich für die Aufnahme Vertriebener ausgesprochen hatte und öffentlich einer islamfeindlichen und rassistischen Pegida entgegentrat. Und auch den Anschlag auf eine Synagoge in Halle im vergangenen Jahr zählt Ulrichs zu den entsetzlichen Höhepunkten. „Die zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Politiker, Journalisten, Rettungskräfte, Polizisten und Andersdenkende sind ein Angriff auf uns alle. Wenn Demonstranten bei dem Hinweis, dass sie mit Nationalsozialisten marschieren, nur mit der Schulter zucken und sagen, sie können sich nicht aussuchen, mit wem sie demonstrieren, wie jüngst in Leipzig, offenbart das eine sehr gefährliche Entwicklung und Gleichgültigkeit dieser Teile der Gesellschaft.“ Ulrichs weiter: „Wer es als hinnehmbar empfindet, mit Extremisten und anderen Menschenfeinden zu demonstrieren, sollte in sich gehen und überlegen, ob er wirklich noch für das Grundgesetz und für eine demokratische, freie und pluralistische Gesellschaft einsteht.“

Ein friedliches Zusammenleben sei nicht selbstverständlich. Stets müsse darum gerungen werden. „Besonders auch in diesen Tagen. Deswegen ist der Volkstrauertag nicht veraltet, sondern muss im Lichte aktueller Entwicklungen und Geschehnisse in der Welt betrachtet werden. Wir müssen uns der Verantwortung stellen und dürfen sichtbaren Fehlentwicklungen gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Diese immerwährende Verpflichtung muss auch in unserem Alltag präsent sein und uns dazu anhalten, eine Gesellschaft aufzubauen, die von Toleranz, gegenseitiger Achtung und Humanität geprägt ist“, appelliert Ulrichs.

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