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30. November 2020, 10:58 Uhr
Lesedauer:
ca. 2min 58sec

Immer aktuell: „Lebendige Inselvergangenheit“

Schon im „Bade-Courier“, der Kurzeitschrift des Nordseeheilbades Norderney, findet sich in der Weihnachtsausgabe von 1960 ein Text, der die Inselhistorie der Vergessenheit entreißen möchte.

Den Reichtum seiner Parkanlagen verdankt Norderney im Grunde genommen der Welfenzeit.

Den Reichtum seiner Parkanlagen verdankt Norderney im Grunde genommen der Welfenzeit. © Stromann str

Norderney/BOS – Manchmal ertappt man sich selbst bei dem Gedanken „irgendwie war früher alles besser“, merkt jedoch sofort, das „besser“ die falsche Formulierung ist. Was man meint, ist eine gewisse Gemütlichkeit, eine Urigkeit, die im Laufe von Jahrzehnten verloren gegangen ist – nicht nur auf der Insel. Das Leben ist schneller geworden und heutzutage ist man überall erreichbar und bei der Flut von Informationen, die in der Gegenwart auf jeden Einzelnen einstürzen, wird Vergangenes oft allzuschnell verdrängt, abgehakt und vergessen, wie dieses „früher“ das „heute“ beeinflusst hat. Ein 60 Jahre alter Text aus dem „Bade-Courier“ macht deutlich, dass dieses Problem bereits damals erkannt worden ist und beim Lesen der Zeilen sollte man sich das Alter der Ausführungen vor Augen halten: „Es gibt viele Dinge, die die Vergangenheit Norderneys lebendig machen und die es verdienen, einmal der Vergessenheit entrissen zu werden.

Den Reichtum seiner Parkanlagen verdankt Norderney, was heute vielfach kaum mehr bekannt ist, im Grunde genommen der Welfenzeit. Wenn hier auch nichts gleiches geschaffen werden sollte, wie die Schönheiten Herrenhausens, so doch zum Mindesten eine Erinnerung hieran, wenn der Welfenhof seinen Sommeraufenthalt an der Nordsee verbrachte.

Zwei besonders markante Punkte der Insel erinnern auch noch namentlich an jene besonders glanzvollen Zeiten. Die Marienhöhe galt als Lieblingsaufenthalt der Königin Marie von Hannover. Diese Vorliebe teilte sie übrigens auch mit keinem Geringeren als Heinrich Heine, der hier zu einigen seiner bekanntesten Dichtungen inspiriert wurde.

An den bevorzugten Aufenthalt des blinden Königs Georg V. erinnert die Georgshöhe, heute Standort der Inselwetterwarte, und seit letztem Jahr auch erbauter Aussichtspunkt.

Und wenn man noch weiter zurückblicken will: Schon der Name Napoleonschanze sagt aus, welchen Ursprung eigentlich das reizvolle Inselfleckchen um den verträumten Schwanenteich hat. Es handelt sich um eine 1811 angelegte und mit einem Wassergraben gesicherte Befestigung, die es der damals nach Norderney gelegten, etwa 200 bis 300 Mann starken, französischen Besatzung besser ermöglichen sollte, den Schleichhandel zu unterbinden. Zu dieser Beschäftigung aber waren damals die Einwohner vielfach gezwungen, nachdem ihnen die Kontinentalsperre jeden Erwerb durch Seefahrt und Fischerei zerschlagen hatte. Während an den mehrmaligen Aufenthalt Blüchers auf Norderney heute nichts mehr erinnert, kann man noch immer das durch eine Gedenktafel gekennzeichnete Haus an der Marienstraße sehen, in dem Bismarck 1844 und 1853 wohnte, bei seinem zweiten Besuch schon preußischer Bundestagsabgeordneter. König Georg bat ihn damals, nach seinem Norderney-Aufenthalt in Hannover Station zu machen. Bismarck folgte dieser Einladung auch, nicht jedoch dem Vorschlag, hannoverscher Minister zu werden. Sicher hätte die deutsche Geschichte manch andere Wendung genommen.

Ähnliche Gedanken können sich auch um einen anderen Mann ranken, der wesentlich später an die Spitze der nun schon kaiserlichdeutschen Politik gelangte: um den Reichskanzler von Bülow. Fürst von Bülow, der auf Norderney ein eigenes, heute noch am Weststrand stehendes Sommerhaus besaß, erlebte hier den Höhepunkt seiner Laufbahn, später aber auch den Beginn seines tragischen Falles.

Im Juli 1904 wurde in den Räumen des damaligen „Großen Logierhauses“, des heutigen Kurhotels, ein deutsch-russischer Handelsvertrag unterzeichnet. Vier Jahre später nahm vom Sommerdomizil des Grafen auf Norderney jene unglückliche Affäre ihren Ausgang, die schon bald als „Daily-Telegraph-Interview“ zur außenpolitischen Isolierung des Reiches führte, Bülow stürzte wenige Monate später, vielleicht einer der wenigen Letzten, die das Verderben hätten aufhalten können. Die Kurgäste und Einwohner Norderneys aber verstärkten in den kommenden Jahren noch ihre Sympathien für den nun entmachteten Staatsmann, der noch bis 1914 regelmäßig zur Insel kam. Als nach dem Zusammenbruch ein vielleicht noch größerer deutscher Politiker, Gustav Stresemann, Norderney zu seinem Sommeraufenthalt erkor – er wohnte in der Moltkestraße – konnte man hierin mit Recht eine Fortsetzung jener Wertschätzung erblicken, die so viele andere bedeutende Leute vor ihm Norderney geschenkt hatten.“

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